29
Jan
2013

Göttergleich

Im alten Griechenland waren die Götter des Olymp eine illustre Schar. Man wusste sich interessante Geschichten über sie zu erzählen. Mal setzte Liebesgöttin Aphrodite ihrem Angetrauten die Hörner auf. Mal legte des Göttervaters krankhaft eifersüchtige Gemahlin ihrem Göttergatten eine Szene hin, die sich gewaschen hatte.

Heute glauben wir nicht mehr an die griechischen Götter. Wir haben sie ausgewechselt. Unsere heutigen Götter sind auf die Erde herabgestiegen. Sie begegnen uns als Stars aus Film und Musik, als Adlige und als Politiker auf der "Wetten-dass"-Couch. Aus der "Bunten", der "Bild" und dem "Stern" erfahren wir zuverlässig, wer von denen gerade wieder eine Affäre laufen oder sich anderweitig daneben benommen hat.

Also konnte uns natürlich auch der Fehltritt des FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle nicht verborgen bleiben.

Brüderle soll, im weinseligen Gespräch zu fortgeschrittener Stunde, gegenüber einer Journalistin, deren Name "Himmelreich" ihm wohl wie eine Verheißung dünkte, eine anzügliche Bemerkung gemacht haben. Das war vor einem Jahr. Und wie bei den olympischen Göttern, so gilt natürlich auch für einen FDP-Kandidaten: Sexismus verjährt nicht.

Also fand sich Brüderle nun im Zentrum einer Sexismus-Debatte wieder. Aus der kommt er nur dann wieder heraus, wenn er sich denn nun endlich zu einer Entschuldigung durchringt. Ganz Politiker, der er ist, wird er dafür aber sicherlich noch den richtigen Moment abwarten.-

Das Wort Sexismus verknüpft man mit Erniedrigung. Wer abhängig ist, gesteht dem Anderen oft nur notgedrungen Worte und Taten zu, die in Wahrheit Übergriffe sind. Es geht hierbei also um die Ausübung von Macht.

Was allerdings Brüderle betrifft, so scheint mir der Charakter des abendlichen Machtverhältnisses zwischen ihm und der Journalistin nicht eindeutig geklärt. Wer, bitteschön, hat in der Dauerbeziehung Politiker-Journalist eigentlich Macht über wen?

Der Politiker weiss: Auf dem Olymp steht man immerzu auf der Bühne. Ständig gucken alle zu. Und er weiss auch: Journalisten haben einen Zettelkasten.

Wohl deswegen lächeln und lachen Politiker immer so angestrengt, wenn sie in die Kamera gucken. Und sagen immerzu so aalglatte Sachen, wenn sie gefragt werden. Nicht jeder von denen hält diese Fassade auch noch abends am Tresen aufrecht.

Ich finde, wenigstens diesen Freiraum sollte man den Politikern lassen. Außer, sie zetteln eine Kneipenschlägerei an und es müssen Polizei und Krankenwagen anrücken. Aber, ehrlich gesagt, das würde ich dem Brüderle denn doch nicht auch noch zutrauen wollen.

Trackback URL:
https://juergendick.twoday.net/stories/235547568/modTrackback

Wallonisch

der juergendick weblog

Kultur+Gesellschaft

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Aktuelle Beiträge

Schon wegen des exzellenten...
Schon wegen des exzellenten Schreibstils ist es ein...
iGing - 17. Jan, 08:18
DER PROZESS. Eine Karl-May-Geschichte
Ich war auf meinem Weg zurück in die Heimat in einem...
JuergenD - 16. Jan, 20:39
Am Bärensee
Als Kind bin ich nicht gerne an den Bärensee gegangen....
JuergenD - 11. Apr, 20:46
Am Schmelzweiher
Der Abstieg war beschwerlich, weil der Regen den Boden...
JuergenD - 9. Apr, 08:18
Der Maulwurf kommt
Die ersten Tage mit wärmeren Temperaturen machen offensichtlich,...
JuergenD - 12. Mär, 19:41

Status

Online seit 6861 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 17. Jan, 08:18

Credits


Der Sport!
Der urbane Mensch
Gender
Geschichten
Internetsucht
Kindheit und ihre Folgen
Kultur
Mobilfunkdebatte
Modernes Sein
Musik, Musik!
Naturschutz und Eigensinn
Nervende Jugend
Online sein
Politik und Stolz und Vorurteil
Unterwegs im Netz
Z-Blog (Das Abstellgleis)
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren