Nervende Jugend

Oh Gott, Daniel!

Ich finde die derzeitigen Aufregungen um jenen Daniel Mack amüsant.

Vielleicht haben Sie es mitbekommen. Der junge Mann wurde bei den Main-Kinzig-Grünen auffällig, weil er übers Internet seine Meinungen zu internen Diskussionen der Kreis-Grünen verkündet haben soll. Einfach so. Ohne die anderen zu fragen.

Seinen Fraktionskollegen ist das irgendwann unheimlich geworden. Der junge Mann wurde gemaßregelt, diese Unsitte sein zu lassen. Man müsse nämlich bei den Grünen die Chance haben, eine sogenannte innerparteiliche Meinungsbildung stattfinden zu lassen, ohne dass da draußen alle alles sogleich mitlesen. Grüne Meinung soll wohl erst dann an die Öffentlichkeit, wenn sie zum grünen Beschluß geworden ist.

Daniel aber, der veröffentlicht seine eigenen Meinungen munter weiter. Er hört einfach nicht damit auf. Sein ungebührliches Verhalten brachte die Parteichefs zum Schäumen. Er musste inzwischen freiwillig von seinem Fraktionsposten zurücktreten.

Das alles erinnerte mich an die Anfänge der Grünen. All diese Sachen von wegen „Basisdemokratie“, „Transparenz“ und so. Lang’ ist’s her...

...und damals gab es noch kein Internet. Verglichen mit damals, sind es heute wirklich andere Zeiten, mit diesem Internet. Die Grünen haben von dort Konkurrenz bekommen:

Die „Piratenpartei“.

Diese Partei sagt, sie wolle totale Transparenz. Ihre Mitglieder wollen die ganze Politik einfach im Internet veröffentlichen. Das sind sozusagen lauter Daniel Macks. Am Wochenende hieß es im „Politbarometer“, die Piraten könnten mit 6% der Stimmen rechnen. Oder waren es 9?

Die „Piraten“ reden über Demokratie so ähnlich, wie die Grünen vor 30 Jahren darüber geredet haben. Sie wirken auch irgendwie so wie früher die Grünen, tragen Bärte und Latzhosen. Junge Rebellen. Sie nutzen das Vorrecht der Jugend, frech das Alte zu hinterfragen.

Tja, und das Alte, das sind jetzt wohl auch die Grünen. Man erkennt es daran, dass so ein junger Daniel Mack, der sich mit der eigenen Parteispitze anlegt, bei den Grünen eigentlich sonst eher selten vorkommt. Wobei ich hinzufügen muss: Was er eigentlich so Ungrünes von sich gegeben haben soll, entdecke ich auf seiner Homepage nicht. Das Problem, das er hat, liegt wie ich vermute eher im Bereich des grünen Benimms. "Du sollst keinen Mack(er) neben Dir dulden", so lautet da wohl irgendjemandes Kritikmaxime.

Kurz, Daniel ist einfach kein braver Junge gewesen.

(Gegenüber den Piraten wirke übrigens der grüne Nachwuchs landauf, landab „wie eine wohlerzogene Jungschar von Stoßlüftern und Klima-Konfirmanden“, stand letztens in der „Welt“ zu lesen: „Nett, lieb – und beten alle brav nach, was die Alten ihnen vorbeten. Kein neuer Gedanke seit 30 Jahren.“)

Verdrossenheit

Immer wieder einmal macht das Wort von der „Politikverdrossenheit“ die Runde.

Es findet seine Erwähnung meist im Gefolge solcher Wahlen, bei denen die Wahlbeteiligung niedrig gelegen hat. Aber auch im Angesicht immer wiederkehrender Dauerthemen (die Gesundheitsreform war zum Beispiel so eins) scheint der Publikumszuspruch mit der Zeit so sehr nachzulassen, daß schliesslich irgendwann die Gemütskrankheit „Politikverdrossenheit“ diagnostiziert werden muss.

Und neuere Forschungen haben dazu noch eine Unterform der Politikverdrossenheit ans Licht gebracht, die sogenannte Parteienverdrossenheit, die oft in einem Atemzug mit Vokabeln wie „Dienstwagen“, „Diäten“, „Parteienskandale“ genannt wird.

Diese Form der Verdrossenheit hat wiederum ganz praktische Folgen. So ist die Anzahl der Mitglieder in praktisch allen großen Parteien seit 1990 deutlich gesunken. Und es scheint insbesondere die Jugend ganz besonders verdrossen zu sein, denn vielerorts wird eine zunehmende Überalterung in den Parteien beklagt.

Das ist deswegen schade, weil doch eigentlich die Jugend es ist, die das Reservoir für neue gesellschaftliche Impulse und Ideen bildet.

Im Neuen, im Wandel, in der Beschleunigung, in der kreativen Unrast – dort liegt das spezielle Interesse der Jugend. Dem Alter hingegen ist eher ein Hang zum Bewahrenden eigen, zum Konservativen, manchmal auch zum Langweiligen.

In einem Land, in dem eine Vokabel wie „Reformstau“ zum Stammwortschatz gehört, könnte also etwas nicht stimmen mit der Beteiligung der Jugend an der Politik. Eine Gesellschaft, in der die Jugend auf Mitgestaltung verzichtet oder verzichten gelassen wird - die droht in ihrer Gesamtheit einzurosten. Und wo Jugend nicht vorkommt, dort muss sich anschließend niemand über grassierende Verdrossenheit, welcher Art auch immer, wundern.
Wallonisch

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