Kultur

Der Tag X

Für die letzten Raucher unter uns wird es ernst. Der Betreiber eines Restaurants teilte mir mit, ja, man werde der in Hessen anberaumten Raucherverbannung Rechnung tragen „müssen“ (er sagte „müssen“ und nicht etwa „wollen“) und ein Rauchverbot im Gastraum verhängen.

Gücklicherweise sei man in der Lage, einen Nebenraum für Raucher anzubieten. Der wird allerdings nur ein Reservat für die letzten Abhängigen sein, und nicht der Wohlfühlraum, den die übrige Gaststätte darstellt. Mit bedenklichem Blick fügte der Mann noch hinzu, daß ihm jene Gastwirte leid täten, die nicht die Möglichkeit haben, zwei verschiedene Räume anbieten zu können. Die treibe nun die Angst um, daß nach dem Tag des Inkrafttretens des Rauchverbots Gäste ausbleiben werden.

In Baden-Württemberg, wo das Rauchverbot seit August gilt, leiden nach einer Umfrage des Gaststättenverbandes kleine Lokale und Discos unter Gästeschwund. Jeder zweite Betrieb fürchte derzeit um seine Existenz. Und mehr als zwei Drittel der Befragten glauben, dass wegen des Rauchverbots Arbeitsplätze verloren gehen. An dieser Stelle läuft etwas aus dem Ruder, finde ich, denn solche Gaststätten, die über wenig räumliche Alternativen verfügen, sind jedenfalls ab dem Datum des Rauchverbotes gegenüber Zweiraumgaststätten benachteiligt.

Wäre nicht eine Regelung der Art, daß ein Gastwirt seine Gaststätte als „Raucher“- bzw. „Nichtraucher“-Lokalität ausweist, liberaler und also auch kundenfreundlicher gewesen? In welche Gaststätte einer geht, kann er dann immer noch frei entscheiden.

Und verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin selbst Nichtraucher. Kein „bekehrter“ Raucher, sondern wirklich abstinent seit Geburt. Dennoch erscheint mir das Rauchverbot in seiner bundesdeutschen Prägung befremdlich. Es handelt sich dabei, wie mir scheint, um eine Erziehungsmaßnahme, für die wir angeblich mündigen Bürger unsere Politiker doch eigentlich gar nicht gewählt haben.

Und wenn unsere Raucher demnächst aus den Lokalen flüchten, um sich ihre Zigarette unter den vor den Kneipen aufgestellten Wärmepilzen anzustecken, dann sehe ich schon die nächste Krisendiskussion am Horizont. Denn das stellt doch wohl das genaue Gegenteil unserer Klimaschutzbemühungen dar: Die Terrasse und den Hof zu heizen, damit die Gäste dableiben. Wenn erst einer unserer Politiker auf diesen Mißstand aufmerksam wird, dann steht bald wieder ein neues Gesetz an, wetten?

Dracula

Auf einer kleinen privaten Feier konnte ich am Wochenende eine Fakir-auf-Scherben- Einlage der Bruchköbeler Theatertruppe „Frischluft“ miterleben. Zwar floss dabei kein Blut, aber bei dieser passenden Gelegenheit gab ein Sprecher der Frischluftler dem Publikum bekannt, daß man gerade an einem Stück arbeitet, das im April nächsten Jahres in einer eigenen Fassung uraufgeführt wird. Für mich überraschend, gedenkt man dann nämlich, „Dracula“ auf die Bühne zu bringen.

Die Ankündigung dieses Stückes um den zig-mal verfilmten transsylvanischen Vampir weckte bei mir ganz persönliche Erinnerungen. Zum Beispiel an das alte Kino in Mittelbuchen, wo ich meinen ersten „Dracula“-Film erleben durfte. Solche Filme liefen damals ab 16 Jahren, es gelang uns aber immer wieder, auch schon als Zwölf-, Dreizehnjährige an den Kontrolleuren vorbei in den Kinosaal zu schlüpfen.

„Dracula“, das war für uns Kinder zu jener Zeit harter Stoff, obwohl wir die Abgründe dieser Grusel-Romanze damals noch nicht recht haben ermessen können. Vor allem die erotische Symbolik erschloss sich uns halbwüchsigen Helden damals noch nicht wirklich.

Und jetzt also diese Geschichte, in einer Version direkt aus Bruchköbel.

Ich finde, das ist eine Besonderheit.

Bestimmt verwirklichen die Akteure damit einen alten Jugendtraum. Jedenfalls, das Stück muss ich mir ansehen, wenn es so weit ist.

Der Bruchköbeler „Dracula“ wird einen Tournee-Siegeszug antreten, dessen bin ich mir ganz gewiss. Das Thema ist einfach zu aktuell, geht es doch auch in „Dracula“ im Grunde wieder nur um das Eine, einzig Spannende auf dieser Welt, nämlich das schwierige Verhältnis der Geschlechter zueinander.

„Dracula“ überspitzt die Geschlechterfrage im Grunde nur ein wenig. Der Grundkonflikt ist und bleibt doch immer wieder der Gleiche. Wenn Sie mir das nicht glauben, dann fragen Sie Ihren Partner, beziehungsweise Ihre Partnerin.

Na ja. Wie auch immer. Die Frischluftler haben übrigens schon ein tolles Plakat für ihren „Dracula“ entworfen, das man unter www.theater-frischluft.de besichtigen kann.

Kostenlos

Letzthin habe ich von einem neuen Trend gelesen, der vor einigen Jahren erstmals in Australien aufgekommen sein soll. Damals tauchten in belebten Einkaufsstraßen plötzlich Leute mit Schildern auf, auf denen zu lesen war: „Free Hugs!“ – was frei übersetzt soviel bedeutet wie „Hier gibt’s kostenlose Umarmungen!“ Den Initiatoren ging es darum, zu demonstrieren, wie wichtig menschliche Nähe im Alltag ist.

Mittlerweile habe sich dieser Trend in vielen Städten der Welt zu einer richtigen Bewegung entwickelt, wie es heisst. Die Angesprochenen würden zunächst stutzen, weil es nicht alle Tage vorkommt, dass ihnen ein wildfremder Mensch eine Umarmung anbietet. Viele nehmen das Angebot aber dann doch gerne an. Sogar in Peking soll bereits eine Aktion dieser Art stattgefunden haben. Allerdings sei dort nach kurzer Zeit die Polizei gekommen und habe die Umarmenden erst einmal festgenommen. Sicher ist sicher, wird man sich gedacht haben.

Wie es nun aber wohl sein wird, wenn dieser Trend erst in Bruchköbel Furore macht?

Wie wir Bruchköbeler wohl darauf reagieren werden?

Vor dem Supermarkt würde uns das Angebot einer kostenlosen Umarmung wohl zunächst verstören. Schliesslich haben wir keine Zeit. Aber einfach mal so von einem netten Menschen umarmt zu werden vor dem Termin im Rathaus, oder beim Gang auf den Wochenmarkt, warum nicht?

Vielleicht werden dann sogar die Verantwortlichen aufmerksam. Der Kulturverein könnte die Idee aufgreifen. Oder das Stadtmarketing. Das Wort „Einkaufserlebnis“ bekäme eine ganz neue Dimension. „Bruchköbel umarmt Sie!“ - mit so einer Kampagne würden wir sogar das Hessencenter schlagen, wage ich vorauszusagen.

Und vielleicht sähen wir uns gar im nächsten Kommunalwahlkampf eigens geschulten Wahlkampfteams gegenüber, die den neuen Trend für ihre Zwecke zu nutzen wüssten. Aber halt. Da geht mir jetzt, glaube ich, doch ein bisschen die Phantasie durch.

Kostenlos

Letzthin habe ich von einem neuen Trend gelesen, der vor einigen Jahren erstmals in Australien aufgekommen sein soll.

Damals tauchten in belebten Einkaufsstraßen plötzlich Leute mit Schildern auf, auf denen zu lesen war: „Free Hugs!“ – was frei übersetzt soviel bedeutet wie „Hier gibt’s kostenlose Umarmungen!“

Den Initiatoren ging es darum, zu demonstrieren, wie wichtig menschliche Nähe im Alltag ist. Mittlerweile habe sich dieser Trend in vielen Städten der Welt zu einer richtigen Bewegung entwickelt, wie es heisst. Die Angesprochenen würden zunächst stutzen, weil es nicht alle Tage vorkommt, dass ihnen ein wildfremder Mensch eine Umarmung anbietet. Viele nehmen das Angebot aber dann doch gerne an.

Sogar in Peking soll bereits eine Aktion dieser Art stattgefunden haben. Allerdings sei dort nach kurzer Zeit die Polizei gekommen und habe die Umarmenden erst einmal festgenommen. Sicher ist sicher, wird man sich gedacht haben.

Wie es nun aber wohl sein wird, wenn dieser Trend erst in Bruchköbel Furore macht?

Wie wir Bruchköbeler wohl darauf reagieren werden?

Vor dem Supermarkt würde uns das Angebot einer kostenlosen Umarmung wohl zunächst verstören. Schliesslich haben wir keine Zeit. Aber einfach mal so von einem netten Menschen umarmt zu werden vor dem Termin im Rathaus, oder beim Gang auf den Wochenmarkt, warum nicht? Vielleicht werden dann sogar die Verantwortlichen aufmerksam. Der Kulturverein könnte die Idee aufgreifen. Oder das Stadtmarketing. Das Wort „Einkaufserlebnis“ bekäme eine ganz neue Dimension. „Bruchköbel umarmt Sie!“ - mit so einer Kampagne würden wir sogar das Hessencenter schlagen, wage ich vorauszusagen.

Und vielleicht sähen wir uns gar im nächsten Kommunalwahlkampf eigens geschulten Wahlkampfteams gegenüber, die den neuen Trend für ihre Zwecke zu nutzen wüssten.

Aber da geht mir jetzt, glaube ich, doch ein bisschen die Phantasie durch.

Last Update Hero

Wenn die Sprachwissenschaftler wieder einmal auf der Suche nach dem Wort des Jahres sind, dann kommen sie nie auf das bekannteste Wort, das einen ständig umschwirrt, seitdem es Computer gibt. Das Wort, das ich meine, heisst, „Update“.

Die Altmodischen unter uns benutzen zwar bisweilen immer noch die komplizierte Vokabel „Aktualisierung“ dafür, wenn sie das Betriebssystem auf ihrem Computer auf den neuesten Stand bringen wollen. Aber für uns moderne Zeitgenossen ist der Begriff „Update“ längst in den Alltagssprachgebrauch übergegangen.

Hören Sie mal Ihren Kindern, pardon, Kids zu, wenn die über das Computern plaudern. Da geht es eigentlich überhaupt nur um Updates. Heutzutage macht man praktisch pausenlos von irgend etwas ein Update. Updates machen alles neu, Updates bringen die neue Version ins Haus, Updates bringen den Computer wieder ans Laufen.

Und es kommen ständig neue Updates herein. Kaum hat man zum Beispiel sein Virenprogramm auf den neuesten Stand gebracht, wird einem schon wieder das nächste Update dazu angeboten. Zum Sonderpreis natürlich.

Hinzu kommt, dass der Begriff „Update“ schon längst aus der Computerwelt in die reale Welt übergegriffen hat. „Kannst Du mich mal bezüglich unseres Kunden XY updaten?“, fragt man wie selbstverständlich die Kollegin. Oder denken Sie nur an die Debatte um die Gesundheitsreform. Manche Leute machen sogar manchmal auf ihr ganzes Leben ein Update.

Sie haben zum Beispiel zwischen den Jahren einen Lebensratgeber gelesen, das Büchlein dann irgendwann entschlossenen Blickes zugeklappt. Ab sofort wird alles umgekrempelt! Endlich noch einmal ganz von vorn anfangen! Solche Entschlossenheit mündet jedoch in den meisten Fällen in nicht viel mehr als eine Schlankheitskur, die man irgendwann wieder abbricht. Irgendwann setzt halt die Gewöhnung ein, und es erwächst das Bedürfnis nach dem nächsten Update.

Unser modernes Leben ist im Grunde eine endlose Kette von Updates. Was ja immerhin nach viel Abwechslung klingt. Und in diesem Sinne habe ich das jetzt angebrochene Jahr zu meinem ganz persönlichen Jahr der Updates erklärt. Mal sehen, welche es mir bringen wird.

Raucherglück

Jetzt wird es wohl nicht mehr allzu lange dauern, bis das generelle Rauchverbot in Gaststätten auch in Deutschland eingeführt wird. Einerseits habe ich damit kein Problem, weil es mir als Nichtraucher beim Italiener, beim Spanier oder im „Treffpunkt“ auch weiterhin an nichts mangeln wird. Andererseits stößt mir die volkserzieherische Attitüde auf, mit der man dem gemeinen Bürger bei der Frage des Rauchens in den Ohren liegt.

Es ist eine Sache, und zwar eine selbstverständliche, das Rauchen auf Schulhöfen zu untersagen.

Es ist eine andere Sache, den Bürgern, denen man bisweilen das Attribut „mündige“ anhängt, mit einer endlosen Kette von Vorschriften nachzustellen.

Manche Bürger zum Beispiel, die verbinden mit einer „Zigarette danach“ ihr kleines privates Glück. Und es gibt ja übrigens auch noch andere, sehr unvernünftige und ungesunde Wege nach dort, wo einer sein persönliches Glück wähnt.

Denken wir an den Alkohol, oder an die Lautstärke in manchen Diskotheken, oder auch an verschiedene unfallträchtige Sportarten. Rund 2,5 Millionen Bundesbürger sind derzeit alkoholkrank. 8 Prozent der Deutschen leiden an Tinnitus. Beim Betrachten des allgemein üblichen Zucker- und Fettkonsums tun sich weitere Problemfelder auf, man möchte gar nicht dran denken.

Das Leben ist eine einzige leichtsinnige Aneinanderreihung von Sünden. Um dem Bürger also zu seinem von Bürokraten verordneten Wohlergehen zu verhelfen, müsste man wahrscheinlich das ganze Land in eine kameraüberwachte Erziehungsanstalt verwandeln, die voller Ge- und Verbotsschilder steht. Sonst schafft es der mündige Bürger nie im Leben, Vernunft anzunehmen und die Vorschriften einzuhalten.

Demgegenüber ist das Glücklichsein nun mal bisweilen eine völlig unvernünftige Angelegenheit. Denken Sie nur mal an Ihre Jugend, dann verstehen Sie vielleicht, was ich meine.

Rauchfreie Zonen, erhobene Zeigefinger

Raucherhinweis

Von Menschen und Rauchern

Die Raucher tun mir in diesen Tagen leid.

Nein, nicht, weil sie irgendwann alle an Krebs sterben müssen. Deswegen zwar auch. Aber mir tun sie deswegen leid, weil sie zum Zielobjekt aller möglicher selbsternannter Wächter der rauchfreien Zonen geworden sind. Letztere, also die rauchfreien Zonen, breiten sich immer mehr aus im Lande. Wie Schuppenflechte.

Wer raucht, der steht mittlerweile im Abseits.

Wenn sich der europäische Anti-Raucher-Trend bei uns weiter durchsetzt, dann dürfte es bald kein Gasthaus mehr geben, in dem noch ein Raucher anzutreffen ist. Sogar in irischen Pubs, wo Bier, Musik und dicke Luft Bestandteil der Volkskultur sind, werden Raucher nicht mehr gelitten.

Da kann ich mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet das europatreue Deutschland noch allzu lange damit warten wird, noch der letzten Kebab-Gaststätte die entsprechenden Vorschriften zu erlassen.

Man schreibt es den Rauchern ja auch schon auf die Zigarettenpäckchen: „Rauchen kann tödlich sein.“ Offensichtlich hält man Raucher für geistig nicht auf der Höhe. Also werden sie mit pädagogischen Ermahnungen traktiert. Als ob sie es nicht selbst wüssten.

Offensichtlich ist aber auch, dass ähnliche Aussagen auf den Verpackungen anderer bisweilen gefährlicher Genussmittel seltsamerweise nicht anzutreffen sind.

Müsste man denn nicht auch auf Bierflaschen Warnhinweise anbringen, wie zum Beispiel „Der Genuß von Alkohol kann Sie aggressiv machen“, oder „Alkohol greift Ihre Leber an“, oder „Alkoholisierte Autofahrer sind bisweilen lebende Bomben“?

Wie bitte? Sie meinen, das sei doch wohl ein bisschen zu drastisch? Sie finden, man kann es auch übertreiben? Sag ich doch. Ich finde jedenfalls, es wäre fair gegenüber den Rauchern, wenn man ihnen wenigstens das Nachdenken selbst überlassen würde.

Steuern zahlen sie eh’ schon genug. Nich wahr.

Alles China

"China, China, China!" (K.G. Kiesinger)

Es sind schon lange nicht mehr nur die chinesischen Restaurants. China ist mittlerweile überall. Ob beim Discounter oder im Sportartikelgeschäft: Schuhe, Hosen, Röcke, Elektronik - alles kommt inzwischen aus China.

Chinesische Waren sind immer super preiswert. Wenn man den Wirtschaftsexperten glauben darf, dann arbeiten die Arbeitnehmer in China für ungefähr 10 Cent die Stunde, sind dabei dreimal so fleissig wie wir, und halten Urlaub für eine Unsitte. Deswegen sind die chinesischen Waren so preiswert.

Demnächst soll es sogar Autos aus China geben: super billig, super haltbar, und man kann so viele davon haben, wie man will.

Und die Chinesen sind flink! Als es im Frühjahr hiess, in Europa wird es bald Sommer, waren praktisch über Nacht 200 Millionen Badehosen aus China auf allen Wühltischen. Zu Preisen wie Weihnachten. Und apropos Weihnachten: ich werde demnächst auf die Schokoladenweihnachtsmänner achten. Wahrscheinlich kommen bald auch die aus China. Zum halben Preis, und zweimal so groß wie unsere. Und ich erwarte, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis man umweltfreundliche Strom-Windmühlen aus China kaufen kann. In jedem Baumarkt, für jeden Garten, das Stück zu 499 Euro.

Wenn irgendwann die EU-Beitrittverhandlungen mit China beginnen, dann werden 400 Millionen chinesische Saisonarbeiter die neue Freizügigkeit nutzen und zu uns kommen, zum Spargelstechen. Zu Stundenlöhnen wie vor 200 Jahren. Spargel werden dann so billig zu haben sein wie noch nie.

Die Deutschen bleiben also auch in Zukunft die Spargelessernation Nr.1.

Man sieht: die Globalisierung hat durchaus ihr Gutes.

- - -

Nicht anfassen!!!

Von Jürgen Dick

Wer das Museum für Moderne Kunst Frankfurt mit seinen Kindern besucht, kann dort etwas erfahren über die Welt, in der er lebt. Und über sich.

elefant ganz klein
„Wie verändert ein Museum die Dinge, die in es hineingetragen werden?“ (Aus einer Ankündigung des Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main)


Der Besuch im Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main (MMK) kommt einem Experiment des Besuchers mit sich selbst gleich. Das ist eigentlich bei jedem Museumsbesuch so, und schon alleine deswegen sollte man sich immer mal wieder ein bisschen ausprobieren und seine innere Beweglichkeit ausreizen. Eben bei einem Museumsbesuch.

Das funktioniert zum Beispiel sehr gut, wenn man das Museum für Moderne Kunst zusammen mit seinen Kindern besucht.

Ein oberstes Gebot im Museum lautet bekanntlich „Nicht anfassen!“, und meine Kinder, 12 und 15, sind in dieser Hinsicht natürlich vorbildlich instruiert. Folglich steht dem Besuch eines Museums nichts im Wege, diesbezügliche väterliche Sorgenfalten sind schon seit einiger Zeit nicht mehr nötig.

Das ändert allerdings nichts daran, dass die Mitglieder des im MMK an strategischen Stellen positionierten Aufsichtspersonals jedes Mal, wenn wir einen neuen Raum betreten, in eine gewisse vorauseilend gespannte Wachsamkeit verfallen. Für ein ganzes Gebäude mit vollkommen weißen Innenwänden und fragilen Kunstobjekten, über die man einfach so stolpern kann, stellen freilaufende Kids nun mal eine Gefährdungswahrscheinlichkeit dar. Diese ist jedenfalls von der Museumsleitung mit einem Wert oberhalb von null angesetzt worden.

Und es ist heutzutage für jeden halbwegs informierten Menschen nachvollziehbar, dass in Zeiten terroristischer Bedrohung auch dem kleinen Bruder des Terrors, dem Vandalismus, vorgebeugt werden muss.

Gerade Kinder, mit ihren nicht selten chaotisch anmutenden Geistes- und Luftsprüngen, müssen folglich bei den gegebenen Umständen unter einen behütenden Generalverdacht gestellt werden.

Das MMK mit seinen Kindern zu besuchen, wird dadurch interessant, dass den miteingeschleppten potenziellen Vandalen nun ausgerechnet an diesem Ort Kunstobjekte vorgeführt werden, die in manchen Fällen das Resultat eines ebensolchen aufgetretenen Vandalismus darzustellen scheinen. Zum Beispiel kann mancher den Beuys-Hirsch „nach Blitzschlag“ in diese Kategorie einordnen - was man als erwachsener Kunstbeflissener natürlich nicht laut tut. Kindermund, andererseits, tut Unbekümmertes kund: „Ist da was in die Luft gesprengt worden?“ – die zu laut gestellte Frage hat der Saalbedienstete hoffentlich nicht vernommen.

An anderer Stelle springt ein Aufsichtsbediensteter sofort herbei, als der Sohn eine rund 10 Meter durchmessende Kunststoffinstallation, die wie der verlassene Kokon eines Riesenschmetterlings anmutet, für einen kurzen Augenblick mit einem Abenteuerspielplatz verwechselt. Er berührt das Objekt an deren äußerstem Ende für eine halbe Sekunde, mit einer Fingerspitze auf einer Kontaktfläche von ungefähr 1/4 qcm.

Und es holt uns sogar in diesem Museum der Alltag ein: Die Ausstellung mit Werken von Anton Henning findet innerhalb eines Ruheraumes statt, der mit seinen Sofas zum Verweilen einlädt. Als mein Sohn sich anschickt, die dazwischen postierten Beistelltische zu berühren, weil die so eine interessante Weichkissen-Gelauflage haben, setzt sich allerdings sofort die Aufsichtsfrau vom Eingang in Bewegung. Strenger Blick. Ich zische eine Warnung, mein Sohn unterlässt sein Vorhaben, Frau Aufsicht bleibt stehen, ihr Blick wird milde. Nein, hier geht es nicht zu wie Zuhause. Dabei hatte auch ich selbst nicht übel Lust verspürt, auf einem der Tischchen die Füße hochzulegen.

Überhaupt, die Aufsichtspersonen: Sie sind hilfreich bei jedweder Frage, aber jedenfalls sehr ängstlich. Richtig wohlwollend bemüht sich die nette ältere Dame, die uns bei der Ankunft im ersten Stock mit der Anregung empfängt, doch „wegen dem Kleinen“ zunächst mal die „Monitorvorführung“ in diesem Raum da zu besichtigen. Die „Monitorvorführung“ erweist sich als die Endlosschleifen-Kurzverfilmung der überraschenden Erschießung eines arglos wartenden Zeitgenossen – so richtig mit scharfem Knall und Dum-Dum-Geschoss, kräftigem Blutschwall an die Wand, zusammensackender Leiche. Im Grunde eine Hardcore-Kurzverfilmung von „Warten auf Godot“, in diesem Fall mit plausiblem Ende. Und absolut faszinierend für einen Zwölfjährigen, der die Inszenierung sofort zu nutzen weiß: mit der Digicam auf „Filmen“ eingestellt, setzt er sich vor den Monitor und wartet auf den Knall. So entstehen Trophäen.

Es lässt sich aus dem Experiment „Museumsbesuch mit Kindern“ das Resumee ziehen, dass die ausgestellten Objekte zu einem nicht geringen Anteil als kinderkompatibel anzusehen sind. Die Objekte erwecken das Interesse von Kindern, weil Kinder oft genau solche Sachen bewerkstelligen, wie sie hier zu sehen sind.

Und: die Dinge, die in dieses Museum hineingetragen worden sind, haben in der Tat eine Änderung erfahren - indem sie unberührbar geworden sind. Nicht anfassen! Man bewegt sich durch das Museum wie durch einen Dom, eine Kathedrale. Dies tut man sogar angesichts des völlig Banalen, eines Papierknäuels etwa, welches scheinbar achtlos auf den Boden geworfen wurde, unterhalb eines Arrays von Ballonlampen. Zu jeder Zeit herrschen hier Respekt und Achtsamkeit.

Gehen Sie also mit Ihren Kindern dorthin (-wenn Sie eine eher ängstliche Natur sind und dazu ein schlechter Erzieher, und also befürchten müssen, dass Ihre Kinder sich in eine Installation hineinsetzen, dann überprüfen Sie halt vorher Ihre Haftpflichtversicherungspolice).

Beobachten Sie sich selbst: Können Sie entspannt bleiben? Oder verspüren Sie immer noch die infantile „Nicht Anfassen!“-Nervosität aus der Zeit, als Papa das immer zu Ihnen sagte? Oder sind Sie doch schon erwachsener als Sie glauben, und erleben: einen amüsanten Tag?

Dieses Museum in Begleitung speziell zusammengestellter Gruppen zu besuchen – das wäre meine nächste Stufe. Dort hinein mit fünfundzwanzig Waschweibern. Oder Nordicwalkern. Oder Ahnungslosen. Oder mit einem ganzen Kindergeburtstag.
Wallonisch

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