Modernes Sein

Le Week-End

Der Sonntag als Ruhezone im geschäftigen Wochenrhythmus ist hierzulande nicht mehr unantastbar, wie wir wissen. Schon 28% aller Arbeitnehmer sollen bisweilen oder regelmäßig sonntags arbeiten.

Nun gut, die wichtige Sonntagsarbeit der Krankenschwestern oder des Kellners waren schon immer als Voraussetzung für das Funktionieren des gesellschaftlichen Miteinander verbucht. Aber auch Sonntagsbrötchen und Sonntagszeitung sind inzwischen selbstverständlich geworden.

Die evangelische Kirche hat nun eine Verfassungsbeschwerde gegen eine allzu freizügige Ausdehnung verkaufsoffener Sonntage eingereicht. Verfechter des freien Sonntags sehen in ihm den Tag der Besinnung über das Eigentliche im Leben. Für viele ist er jedoch auch und vor allem der freie Tag nach dem Samstagabend.

Und manche sind ohnehin der Meinung, daß die Verteidigung des freien Sonntags eine viel zu defensive Position ist.

Worum es vielen nämlich geht, ist auch die Verteidigung des freien Sonnabends.

Erstens, weil der herkömmliche Kunde für das Herumstöbern in Möbel- und Buchgeschäften oder für das Probefahren des neuen Autos nun einmal ab und zu einen freien Tag benötigt.

Und zweitens, weil ein freier Sonnabend wiederum die Gestaltungsmöglichkeiten für den Freitagabend ganz erheblich erweitert. Man ahnt also, daß ganze Wirtschaftszweige davon abhängig sind, wenn nicht nur der Sonntag, sondern auch der Sonnabend und damit das Wochenende frei bleiben.

Daß der arbeitsfreie Sonntag infrage gestellt wird, könnte demnach auch damit zu tun haben, daß inzwischen immer mehr Menschen am Sonnabend arbeiten müssen. Irgendwann müssen sie schließlich auch noch einkaufen gehen können, denken sie sich dann, und begrüßen ausdrücklich jeden verkaufsoffenen Sonntag.

Wer also den arbeitsfreien Sonntag verteidigt, müsste folglich auch den arbeitsfreien Sonnabend für schützenswert halten.

Taff

Das Rednerpult auf der Bühne des Oberissigheimer Bürgerhauses ist ein großvolumiges Trumm aus Holz.

Es vermag die dahinter stehenden Redner schon alleine durch sein eindrucksvolles Volumen aufzuwerten. Politiker, hohe Gäste und Ehrenredner erscheinen hinter einem eindrucksvollen Rednerpult bedeutsam.

Ein mächtiges Rednerpult zieht also die Blicke auf sich und erwirkt so bereits Aufmerksamkeit, noch bevor überhaupt das erste Wort gesprochen ist.

Die Bruchköbeler SPD hatte nun am Freitag die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti zu ihrer Wahlveranstaltung in das Oberissigheimer Bürgerhaus eingeladen. Als die Kandidatin die Bühne betrat, an das erwähnte Rednerpult schritt, und wir dort drunten nun alle auf das einleitende Wort warteten, verfinsterte sich jedoch Frau Ypsilantis Miene urplötzlich. „Oh, oh...!“, so lauteten ihre ersten Worte am Mikrofon, und dann: „So kann ich hier aber nicht sprechen!“

Offensichtlich, so die Kandidatin, seien hier in Bruchköbel die Rednerpulte nur für Männer gemacht, nämlich viel zu hoch ausgelegt für eine eher zierlich gebaute Spitzenkandidatin wie eben Frau Ypsilanti.

Wir politikinteressierten Jungs in den vorderen Reihen konnten ihr da nur beipflichten, denn mehr als die wachen Augen der Kandidatin waren für uns in diesem Moment in der Tat nicht zu sehen von der nicht zuletzt auch für das Männerauge recht interessant anzuschauenden Kandidatin. Will heißen: sie verschwand einfach hinter dem gewaltigen Rednerpult. Das hatte mit ihrer eher zierlichen Statur zu tun.

Die SPD-Helferriege geriet glücklicherweise flugs in Bewegung. Man schaffte blitzschnell einen Bierkasten herbei und ein Brett für obendrauf. Solchermaßen buchstäblich angehoben, konnte Frau Ypsilanti ihre Wahlkampfrede nunmehr ordnungsgemäß beginnen. Es ist übrigens eine taffe Ansprache vom Typ „Haare auf den Zähnen“ geworden.

Ypsilanti-Bruchkoebel

Der hiesige SPD-Kandidat für den Bürgermeisterwahlkampf, Perry von Wittich, versprach anschließend, daß er sich für das Oberissigheimer Bürgerhaus um ein auch für eher zierliche Frauen geeignetes Rednerpult bemühen werde, falls seine Kandidatur zum Erfolg führen werde. Und wir Jungs dort drunten im Publikum, wir fanden, daß dieses Wahlversprechen unbedingt zu unterstützen ist.

Frühstücksfriede

Eine meiner regelmäßig studierten Tageszeitungen macht seit Wochen intensive Werbung für ein bedeutsames Ereignis.

Man wird nämlich in dieser Woche die Zeitung auf das sogenannte „Tabloid“-Format umstellen. Darunter ist zu verstehen, daß die Zeitung in Zukunft nur noch halb so groß, dafür aber doppelt so dick erscheinen wird. Das Blatt kann man dann auch im Zug oder im Bus umblättern, ohne daß der Nachbar sich gestört fühlen muss, heisst es.

Auffallend ist, daß meine Zeitung für diesen Vorgang eine außergewöhnlich aufwendige Überzeugungs- und Schulungskampagne gefahren hat. Nahezu an jedem Tag in den vergangenen Wochen gab es für die Leser Sonderseiten zu diesem besonderen Ereignis zu lesen. Mit der Umstellung des Formates werde nicht nur die Handlichkeit, sondern auch gleich der gesamte Zeitungsinhalt besser, hieß es. Alles werde viel klarer und völlig neu strukturiert, sei ab nun übersichtlicher zu erfassen, und komme viel aktueller ins Haus.

Man wolle dem Zeitungskunden auch nicht mehr zumuten, daß das, was er morgens auf Seite 1 zu lesen bekomme, die Schlagzeilen aus den „Tagesthemen“ vom Vortag seien. Bei dieser Mitteilung musste ich stutzen. Was, so dachte ich, wenn die Ereignisse dem so postulierten Eifer meiner Zeitungsredakteure hinterherlaufen? Wenn also so viel Neues, wie angekündigt, über Nacht sich gar nicht einstellen will? Wenn zum Beispiel die Eintracht 0:3 verloren hat, und ich das am Abend in den „Tagesthemen“ erfahren habe, was für eine Meldung will meine Tageszeitung dann daraus am nächsten Morgen fabrizieren?

Na ja. Ich werde mich überraschen lassen.

Am Samstag übrigens lag meiner immer noch im altmodisch alten Format gedruckten Tageszeitung schon mal ein Probeexemplar der neuen „Tabloid“-Version bei. War schmuck anzusehen. Nicht schlecht, dachte ich.

Dann aber entdeckte ich, daß die neue Zeitung nunmehr mit Heftklammern zusammengehalten wird. Da werde ich ein Problem bekommen. Beim Frühstück erweist es sich nämlich immer wieder als nützlich, der Ehegattin den Lokalteil abzugeben, damit man, um das übrige Weltgeschehen zu erfassen, in Ruhe den Politikteil, das Feuilleton und die Aktientabellen studieren kann.

Die neue Zeitung im „Tabloid“-Format ist aber mit Klammern zusammengeheftet, da wird es schwer mit dem Herausgeben des Lokalteils. Ich werde folglich meiner Tageszeitung den Tip geben, an die Kunden Werbegeschenke zu verteilen: kleine, praktische Heftklammernentferner, mit denen man das neuen Format „entklammern“ kann. Ich selbst besorge mir schon mal einen. Auf dass der Frühstücksfriede gesichert bleibe.
Wallonisch

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