Der urbane Mensch

Servicewüste

Er ist inzwischen zum geflügelten Wort geworden, der Begriff „Servicewüste“.

Mit dieser Bezeichnung belegen gewöhnlich weit gereiste Wirtschaftsjournalisten die Art und Weise, wie man in einem deutschen Restaurant sein Bier serviert bekommt, oder wie man in einem hiesigen Kaufhaus beraten wird.

Angeblich, so heisst es, werde der deutsche Kunde im Vergleich zu den Kunden in anderen Ländern schlechter bedient, lieblos abgefertigt und dazu noch scheel angeschaut, wenn er am Ende das angemessene Trinkgeld verweigert. Demgegenüber stehe es im Ausland besser um den Kunden. Dort huschen angeblich die Bedienungen und Servicebeauftragten nur so um einen herum, voll des Eifers, es dem Kunden wohl ergehen zu lassen.

Ich kann diese Eindrücke allerdings nicht bestätigen. Ich fühle mich in der Regel im Ausland ganz ähnlich bedient wie in Deutschland. Zum Beispiel wüsste ich kein einziges Bruchköbeler Restaurant zu nennen, wo man es mir gegenüber bisher etwa an der gebotenen Zuvorkommenheit hätte fehlen lassen. Auch meine Autowerkstatt, mein Versicherungsagent, oder zum Beispiel die Damen im Bruchköbeler Passamt sind mir gegenüber stets freundlich gewesen. Vielleicht geht es anderen nicht so gut wie mir, aber ich habe da die Theorie, daß es halt aus dem Wald für gewöhnlich so herausschallt, wie man vorher hineingerufen hat.

Und was das Ausland betrifft: Dort werde ich ebenfalls in der Regel völlig zufriedenstellend bedient. Ich kann das zwar nicht generalisieren, weil ich noch nicht jedes Land dieser Welt besucht habe. Aber ich halte mich immerhin für einen völlig unauffälligen Durchschnittskunden, meine also, daß ich mir ein Urteil dazu anmaßen kann, wie es einem als Kunden etwa an einer französischen Tankstelle, in einem ungarischen Supermarkt oder in einem spanischen Restaurant ergeht: nämlich nicht viel anders als hierzulande.

Andererseits kenne auch ich eine Servicewüste, eine sehr große sogar. Die nennt sich „Internet“, und wer dort kauft, der wird normalerweise so unpersönlich bedient, wie es nur irgend vorstellbar ist. Auf eine Bestellung bekommt man in der Regel ein formales e-mail, wie es hundert andere Käufer auch bekommen. Will man irgendwann eine Lieferung persönlich reklamieren, landet man bei den angegebenen Telefonnummern in Warteschleifen, für die nicht selten Sprechgebühren anfallen. Verzweifelt sendet man dann ein e-mail und hat abzuwarten, wie die Reaktion ausfällt.

Servicewüsten haben halt ihren eigenen Flair.

...und bewahre uns unsere Ängste...

Wir leben in einer ängstlichen Republik. Das ist mir gerade wieder einmal klar geworden, als ich vor ein paar Tagen den Warnhinweis auf dem Innenetikett meines Pyjamas zur Kenntnis nehmen musste. Unter dem Größenhinweis „XXL“ (ich trage gern bequem) steht dort zu lesen: „Keep away from fire“, also: „Vom Feuer fernhalten“. Von selbst wäre ich nie und nimmer auf den naheliegenden Gedanken gekommen, dass ein Pyjama vom Feuer, wo er sich bekanntlich entzünden kann, ferngehalten gehört.

Nach meiner Beobachtung haben übertriebene Warnhinweise, die das eigentlich Selbstverständliche zum Thema erheben, in den letzten Jahren überhand genommen. Wer zum Beispiel die Gebrauchsanweisungen irgendwelcher technischer Geräte liest, und dort speziell die sogenannten „Sicherheitshinweise“, der dürfte sich wundern, für wie dumm er gehalten wird. In der Gebrauchsanleitung eines hundsgemeinen Toasters las ich beispielsweise: „Verlegen Sie das Anschlusskabel so, dass es niemanden stört.“ Klar. Wenn man mich mit dieser Ermahnung nicht extra davon abgehalten hätte, dann hätte ich das Kabel doch glatt mitten durchs Wohnzimmer gezogen, damit auch wirklich jedes Familienmitglied darüber stolpern muss und sich die Beine bricht. Da bin ich dann doch dankbar, dass ich vermittels der Sicherheitshinweise in meiner Toaster-Gebrauchsanleitung vor mir selbst geschützt worden bin.

Ich vermute übrigens, dass die allgemeinen Ängste vor den wirklich großen Gefahren, wie zum Beispiel dem Waldsterben, dem Terror, dem Klimawandel, dem Islam, dem Feinstaub oder dem nächsten Wetterumschwung, noch lange nicht das ganze Bild unserer kollektiven Ängste widerspiegeln. Auch im Kleinen, also auch in den Gebrauchsanweisungen unserer Toaster und auf den Etiketten unserer Pyjamas, sind die Widerspiegelungen unserer alltäglichen Ängste und Besorgnisse aufzufinden.

Wir kommen einfach nicht von ihnen los, von unseren Ängsten.

Ich vermute sogar: Wenn es plötzlich „Peng!“ machen würde, und alle unsere Ängste wären im selben Moment, endlich, mit einem Schlag, aus der Welt geschafft, dann würden wir uns wahrscheinlich leer und nackt vorkommen.

Das Leben erschiene uns irgendwie sinnlos, ohne unsere vertrauten Ängste.

Aber Gottseidank ist es noch nicht so weit gekommen. Unsere Ängste sind weiterhin mit uns. Sage also keiner, es gäbe nichts Verlässliches mehr auf dieser Welt.

Mitbestimmung im Restaurant

„Da muss ich erst fragen.“

Die Kellnerin, die mit dieser Aussage unseren Wunsch nach einem kleinen Glas roten Weines zunächst einmal in die Parkposition beförderte, sah ein wenig verlegen drein und begab sich dann hinter den Tresen, um sich eine Genehmigung dafür zu holen, auch Weingläser mit nur halbem Inhalt an uns ausschenken zu dürfen.

In der Karte des Restaurants, in dem wir gerade saßen, sind nur große Gläser aufgeführt, die 0,2 l Inhalt haben. Unsere Frage nach der halben Portion hingegen schien zwar nicht uns, jedoch einer Kellnerin dieses Restaurants so außergewöhnlich, dass sie nicht so einfach stante pede beantwortet werden konnte.

Wir saßen ein bisschen bedröppelt da. So, als hätten wir etwas Ungehöriges verlangt.

Ich wollte ihr noch hinterher rufen, dass wir ja auch ein großes Glas nehmen und es dann eigenhändig auf zwei Gläser verteilen können, wenn unser Wunsch zu viele Umstände macht... aber nach ein paar Minuten kam unsere Kellnerin mit einem Tablett und zwei wunschgemäß halb gefüllten Gläsern zurück. Sie sah erleichtert aus. Irgendwie tat sie mir leid.

Ich meine, eine Mitarbeiterin, die in jeder Minute direkt an der Kundenfront steht und über eine solche, im Grunde doch unkomplizierte Frage eines Gastes nicht selbständig entscheiden darf, die erzählt im Grunde eine ganze Geschichte über den Führungsstil in dem Haus, in dem sie beschäftigt ist.

Dass es kleinen Mitarbeitern oftmals verwehrt ist, bei den großen Entscheidungen mitreden zu dürfen, ist ja nun nichts Neues.

Aber wenn kleine Mitarbeiter noch nicht einmal bei den kleinen Entscheidungen mitreden dürfen, beschleicht mich ein mulmiges Gefühl. Anscheinend traut ihnen ihr Chef nichts zu, vermute ich dann. Anscheinend hat hier der Chef in jeder auch noch so klitzekleinen Angelegenheit das letzte Wort, und er vertraut seinen Mitarbeitern im Grunde nicht.

Andererseits, vielleicht sehe ich die Angelegenheit auch ein wenig zu streng. Aber es ist mir eben unangenehm, wenn ich in einem Restaurant erlebe, dass mein Sonderwunsch bei der Bedienung seelischen Stress auslöst. Vielleicht ist meine Einstellung in der Hinsicht auch schlicht ein bisschen altmodisch.

Flatrate

Das Rennen um den Titel „Wort des Jahrzehnts“ dürfte wahrscheinlich die Wortschöpfung „Flatrate“ machen.

Man liest und hört davon überall. Von praktisch allem gibt es mittlerweile eine Flatrate. Es begann mit den Internet-Tarifen, damals, als man seine Internet-Rechnung noch in Pfennig-pro-Minute abgerechnet bekam.

Eine Flatrate zu haben, bedeutet, dass man einen Preis zahlt, und danach so lange darf wie man will: Surfen, Chatten, Telefonieren, Fernsehgucken. Neuerdings sogar: Trinken („All-you-can-drink“), was im Rahmen der Diskussion um das Trinkverhalten mancher Jugendlicher zu einiger Kritik geführt hat.

Mit der Flatrate gehören lästige Sorgen um die Höhe der Endrechnung der Vergangenheit an. Aus kaufmännischer Sicht ist die Flatrate ein Instrument aus dem Marketing, mit dem die Kunden an den Anbieter gebunden werden. Einmal für die Flatrate bezahlt, steigt man als Kunde nicht mehr so leicht um. Der Vorteil für den Kunden besteht in der Überschaubarkeit und Planbarkeit. Man zahlt seinen Beitrag, und Ruh’ is’.

Als frühe Vorläufer der Flatrate würde ich übrigens die Dauerkarte bei der Eintracht ansehen (gab’s schon in den Siebzigern) oder auch die Angebote mancher Restaurants, wo es auch früher schon für 25 Mark freien Zugriff aufs Buffet gegeben hat. Heute müssen wir das in Euro rechnen, aber na gut. Inflation ist sowieso immer.

Ich vermute jedenfalls, dass der Trend zur Flatrate unvermindert anhalten wird. Ich frage mich zum Beispiel, warum findige Geschäftsleute nicht schon längst Flatrates für den Schuhkauf, den Kinobesuch oder die Steuerberatung anbieten. Die Möglichkeiten, die hinter dem Konzept mit der Flatrate stecken, scheinen mir jedenfalls noch lange nicht ausgereizt, und ich glaube, man kann für die Zukunft noch mit vielen Ideen dazu rechnen.
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