21
Aug
2005

Nicht anfassen!!!

Von Jürgen Dick

Wer das Museum für Moderne Kunst Frankfurt mit seinen Kindern besucht, kann dort etwas erfahren über die Welt, in der er lebt. Und über sich.

elefant ganz klein
„Wie verändert ein Museum die Dinge, die in es hineingetragen werden?“ (Aus einer Ankündigung des Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main)


Der Besuch im Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main (MMK) kommt einem Experiment des Besuchers mit sich selbst gleich. Das ist eigentlich bei jedem Museumsbesuch so, und schon alleine deswegen sollte man sich immer mal wieder ein bisschen ausprobieren und seine innere Beweglichkeit ausreizen. Eben bei einem Museumsbesuch.

Das funktioniert zum Beispiel sehr gut, wenn man das Museum für Moderne Kunst zusammen mit seinen Kindern besucht.

Ein oberstes Gebot im Museum lautet bekanntlich „Nicht anfassen!“, und meine Kinder, 12 und 15, sind in dieser Hinsicht natürlich vorbildlich instruiert. Folglich steht dem Besuch eines Museums nichts im Wege, diesbezügliche väterliche Sorgenfalten sind schon seit einiger Zeit nicht mehr nötig.

Das ändert allerdings nichts daran, dass die Mitglieder des im MMK an strategischen Stellen positionierten Aufsichtspersonals jedes Mal, wenn wir einen neuen Raum betreten, in eine gewisse vorauseilend gespannte Wachsamkeit verfallen. Für ein ganzes Gebäude mit vollkommen weißen Innenwänden und fragilen Kunstobjekten, über die man einfach so stolpern kann, stellen freilaufende Kids nun mal eine Gefährdungswahrscheinlichkeit dar. Diese ist jedenfalls von der Museumsleitung mit einem Wert oberhalb von null angesetzt worden.

Und es ist heutzutage für jeden halbwegs informierten Menschen nachvollziehbar, dass in Zeiten terroristischer Bedrohung auch dem kleinen Bruder des Terrors, dem Vandalismus, vorgebeugt werden muss.

Gerade Kinder, mit ihren nicht selten chaotisch anmutenden Geistes- und Luftsprüngen, müssen folglich bei den gegebenen Umständen unter einen behütenden Generalverdacht gestellt werden.

Das MMK mit seinen Kindern zu besuchen, wird dadurch interessant, dass den miteingeschleppten potenziellen Vandalen nun ausgerechnet an diesem Ort Kunstobjekte vorgeführt werden, die in manchen Fällen das Resultat eines ebensolchen aufgetretenen Vandalismus darzustellen scheinen. Zum Beispiel kann mancher den Beuys-Hirsch „nach Blitzschlag“ in diese Kategorie einordnen - was man als erwachsener Kunstbeflissener natürlich nicht laut tut. Kindermund, andererseits, tut Unbekümmertes kund: „Ist da was in die Luft gesprengt worden?“ – die zu laut gestellte Frage hat der Saalbedienstete hoffentlich nicht vernommen.

An anderer Stelle springt ein Aufsichtsbediensteter sofort herbei, als der Sohn eine rund 10 Meter durchmessende Kunststoffinstallation, die wie der verlassene Kokon eines Riesenschmetterlings anmutet, für einen kurzen Augenblick mit einem Abenteuerspielplatz verwechselt. Er berührt das Objekt an deren äußerstem Ende für eine halbe Sekunde, mit einer Fingerspitze auf einer Kontaktfläche von ungefähr 1/4 qcm.

Und es holt uns sogar in diesem Museum der Alltag ein: Die Ausstellung mit Werken von Anton Henning findet innerhalb eines Ruheraumes statt, der mit seinen Sofas zum Verweilen einlädt. Als mein Sohn sich anschickt, die dazwischen postierten Beistelltische zu berühren, weil die so eine interessante Weichkissen-Gelauflage haben, setzt sich allerdings sofort die Aufsichtsfrau vom Eingang in Bewegung. Strenger Blick. Ich zische eine Warnung, mein Sohn unterlässt sein Vorhaben, Frau Aufsicht bleibt stehen, ihr Blick wird milde. Nein, hier geht es nicht zu wie Zuhause. Dabei hatte auch ich selbst nicht übel Lust verspürt, auf einem der Tischchen die Füße hochzulegen.

Überhaupt, die Aufsichtspersonen: Sie sind hilfreich bei jedweder Frage, aber jedenfalls sehr ängstlich. Richtig wohlwollend bemüht sich die nette ältere Dame, die uns bei der Ankunft im ersten Stock mit der Anregung empfängt, doch „wegen dem Kleinen“ zunächst mal die „Monitorvorführung“ in diesem Raum da zu besichtigen. Die „Monitorvorführung“ erweist sich als die Endlosschleifen-Kurzverfilmung der überraschenden Erschießung eines arglos wartenden Zeitgenossen – so richtig mit scharfem Knall und Dum-Dum-Geschoss, kräftigem Blutschwall an die Wand, zusammensackender Leiche. Im Grunde eine Hardcore-Kurzverfilmung von „Warten auf Godot“, in diesem Fall mit plausiblem Ende. Und absolut faszinierend für einen Zwölfjährigen, der die Inszenierung sofort zu nutzen weiß: mit der Digicam auf „Filmen“ eingestellt, setzt er sich vor den Monitor und wartet auf den Knall. So entstehen Trophäen.

Es lässt sich aus dem Experiment „Museumsbesuch mit Kindern“ das Resumee ziehen, dass die ausgestellten Objekte zu einem nicht geringen Anteil als kinderkompatibel anzusehen sind. Die Objekte erwecken das Interesse von Kindern, weil Kinder oft genau solche Sachen bewerkstelligen, wie sie hier zu sehen sind.

Und: die Dinge, die in dieses Museum hineingetragen worden sind, haben in der Tat eine Änderung erfahren - indem sie unberührbar geworden sind. Nicht anfassen! Man bewegt sich durch das Museum wie durch einen Dom, eine Kathedrale. Dies tut man sogar angesichts des völlig Banalen, eines Papierknäuels etwa, welches scheinbar achtlos auf den Boden geworfen wurde, unterhalb eines Arrays von Ballonlampen. Zu jeder Zeit herrschen hier Respekt und Achtsamkeit.

Gehen Sie also mit Ihren Kindern dorthin (-wenn Sie eine eher ängstliche Natur sind und dazu ein schlechter Erzieher, und also befürchten müssen, dass Ihre Kinder sich in eine Installation hineinsetzen, dann überprüfen Sie halt vorher Ihre Haftpflichtversicherungspolice).

Beobachten Sie sich selbst: Können Sie entspannt bleiben? Oder verspüren Sie immer noch die infantile „Nicht Anfassen!“-Nervosität aus der Zeit, als Papa das immer zu Ihnen sagte? Oder sind Sie doch schon erwachsener als Sie glauben, und erleben: einen amüsanten Tag?

Dieses Museum in Begleitung speziell zusammengestellter Gruppen zu besuchen – das wäre meine nächste Stufe. Dort hinein mit fünfundzwanzig Waschweibern. Oder Nordicwalkern. Oder Ahnungslosen. Oder mit einem ganzen Kindergeburtstag.

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