5
Feb
2011

Gorch Fock

Beim Stichwort „Gorch Fock“ schlagen derzeit die Wellen hoch, es geht in den Zeitungen um Drill und unmenschliche Behandlung von Offiziersschülern. Woran das Stichwort „Gorch Fock“ mich selbst erinnert, ist etwas Anderes.

Sagt jemand „Gorch Fock“, dann versetzt mich das zurück in die späten 60er, auf den Pausenhof unserer heutigen Bruchköbeler Haingartenschule (die damals noch nicht so hieß). Dort stand ich inmitten meiner Klassenkameraden, und wir spielten Quartett. Damals war es einige Sommer lang unter uns Buben „in“, Quartettspiele zu besitzen. Die gab es zum Beispiel beim Schenker zu kaufen.

Die Quartettspiele hatten Themen. Es gab Flugzeug-, Auto-, Rennwagenquartetts. Und natürlich auch Schiffsquartetts. Hier gab es für jedes einzelne Schiff eine Karte, auf der die wichtigsten Daten und ein Foto des jeweiligen Schiffes zu sehen waren. Eine der Karten zeigte die „Gorch Fock“. Dass „Gorch Fock“ der Name eines Seemannsdichters ist, wusste ich damals nicht. Für mich klang er immer ein bisschen sonderlich. Ich dachte damals, „Gorch“ sei ein schwedisches Wort für „Storch“, oder so.

Wie auch immer. Wir spielten das Spiel nicht nach den üblichen Quartettregeln. Das Quartettspiel auf dem Schulhof lief so: Man stand sich auf dem Schulhof gegenüber, jeder seine Hälfte der Karten in der Hand, und verglich die Karte, die man obenauf hatte, mit der Karte des Gegners. Wenn man „dran“ war, durfte man ansagen. Hatte man zum Beispiel ein U-Boot auf der Hand, war die Leistung das Entscheidende. Man sagte dann zum Beispiel: „1.200 PS!“ und gewann damit die Karte des Gegenüber. Der hatte nämlich vielleicht gerade eine chinesische Dschunke vor Augen, die bekanntlich nicht so viele PS zustande bringt. Man durfte anschließend, weil gewonnen, mit seiner nächsten Karte weiter fragen, konnte also wiederum bestimmen, welcher Wert stach. Gewonnen hatte, wer es am Ende schaffte, alle Karten des Gegners in Besitz zu nehmen.

Das Spiel wurde auf dem Schulhof ausschließlich von Buben gespielt, so weit ich mich erinnere. Was die Mädchen währenddessen gemacht haben, weiss ich nicht. In Bezug auf die Karte mit der „Gorch Fock“ drauf hegte ich immer gemischte Gefühle. Wurde man befragt, verlor man mit der „Gorch Fock“ meistens, denn die „Gorch Fock“ ist nun mal langsamer als die meisten Motorschiffe; sie kommt nur in Orkanen auf richtig viele PS. War man aber selbst mit dem Befragen dran, dann konnte man mit der „Gorch Fock“ gewinnen, indem man sagte. „Höhe: 45 Meter!“ In Bezug auf die Höhe war die Gorch Fock eine gute Karte, was natürlich mit den Segelmasten zu tun hat. Die meisten anderen Schiffe in den Quartetten waren niedriger.

Warum ich das alles erzähle? Nun, was ich sagen will, das ist, dass die „Gorch Fock“, über die heute überall berichtet wird, nicht meine „Gorch Fock“ ist. Meine „Gorch Fock“ war eine andere. Es wurde auf ihr nicht herumgebrüllt. Sie war 45 Meter hoch, ganz weiss und strahlend, und man konnte mit ihr ein Quartettspiel gewinnen, obwohl sie noch nicht mal die Schnellste gewesen ist.

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