1
Aug
2005

Musik, mit dem Kopf gehört

Dem Hanauer Kulturverein ist eine bemerkenswerte 70er-Psychedelic-Show gelungen

Von Jürgen Dick

Der Besuch eines Konzertes der Gruppe "Fantasyy-Factoryy" kann einen echten Flashback auslösen, eine Art mentalen Rücksturz in die Welt der psychedelischen Rockkonzerte der 70er.

Aus dieser Zeit erinnert mancher, der über die 40 hinaus ist, noch die Namen von Kapellen wie "Pink Floyd", "Embryo", "Tangerine Dream" oder "Can". Manche Gruppen hatten später, nach ihren kreativen Experimentalphasen, noch Hits und erreichten somit einen Return of Investment, andere erinnert man nur mehr wie Fossilien einer untergangenen Epoche.

Dem Umstand, dass sich das Publikum durch das Hören der alten Lieder willig in einen Zustand emotionaler wie auch bisweilen geistig-moralischer Regression hineinbegibt, begegnet man im bundesrepublikanischen Kulturgeschehen bekanntlich recht oft. Dies kann bei den unzähligen Coverbandauftritten, den Oldie-Nights und Revival-Konzerten lebensnah studiert werden. Musikveranstaltungen und Popgruppen mit der Garantie auf garantiert nichts Neues haben Konjunktur.

Der Hang zur permanenten Replizierung des Alten stellt wohl den populärkulturellen Mainstream schlechthin dar. Dieser Trend findet heute in Gesellschaft und Politik seine Entsprechung in der an allen Ecken und Enden aufkeimenden Wiederentdeckung von „Werten“ - womit wiederum eine gerade im Entstehen begriffene Volksphilosophie beschrieben ist, die ihre beste Zeit womöglich erst noch vor sich hat. Und daß sich dem Zeitgeist stets auch das passende musikalische Rahmenprogramm beimengt, stellt im Grunde eine Selbstverständlichkeit dar.

Warum, so mag man sich beim Hanauer Kulturverein gefragt haben, es also nicht auch mal mit einer Band versuchen, die den Psychedelic-Flair der 70er Jahre authentisch auf die Bühne zu zaubern verspricht?

Folglich lud man aus Anlaß der Hanauer Museumsnacht die Paderborner Gruppe "Fantasyy-Factoryy" in die Remisengalerie am Schloss ein. Die Gruppe legte, so viel ist gewiss und sei hier bezeugt, einen authentischen Auftritt im Stile der in den 70ern üblichen Soundexperiment-Gruppen hin. Wer seinerzeit "Amon Düül" oder den frühen Alben von Pink Floyd etwas abgewonnen hat, wurde reich beschenkt.

Und zwar in allen Facetten.

Den Psychedelic-Rock- Inszenierungen haftete ja schon früher zumeist etwas Introvertiertes an. Im Grunde waren diese Shows unspontan, lustfeindlich, unerotisch – eine Rückkehr in die Innerlichkeit, nach den irritierend lustvollen, körperbetonten Innovationen, die der westlichen Menschheit durch den Jazz, den Swing, den Rock’n’Roll, durch Elvis und die Beatles beschert worden waren.

Psychedelic-Rock hingegen hörte man mit dem Kopf. Zumeist erlebte man auf der Bühne Musiker, die auf Bühnenwerte wie Choreographie oder personale Präsenz nichts gegeben haben. Entsprechend wirken viele gesangliche Parts der Psychedelic-Frühzeit recht ausdruckslos dahingeraunt, zur Verstärkung der message musste die Technik den fehlenden spontanen Ausdruck wettmachen.

Nicht zu vergessen auch das Publikum: wenn man in den 70ern in irgendeinem Jugendzentrum einen Doppelauftritt zweier progressiver Bands miterlebte, dann tat man das in der Regel mit einer Flasche Bier in der Hand, stumm herumstehend, und dies über Stunden hinweg ohne größere körperliche Regung. Getanzt wurde nicht, und wenn doch, dann tat es jeder für sich und vor sich hin. Irgendwann kroch dann noch der Geruch von Dope durch die Reihen.

Bis auf das letztgenannte Phänomen erfüllte die Veranstaltung beim HKV alle der hier aufgezählten Kriterien. Will heißen: dem Hanauer Kulturverein ist es gelungen, das authentische Faksimile eines frühen Psychedelic-Konzertes nachzubilden, und dies unter Einbeziehung des Publikums, das sich so stilgerecht verhielt wie früher im Jugendzentrum.

Hinzu kamen noch eine Begleitausstellung mit Bildern im Stil der Pop-Malerei der späten 60er und 70er, darunter zum Beispiel ein Portrait des Science-Fiction-Pioniers Philip K. Dick, und die Pop-Art-Leinwandshow, die als Begleitung zur Musik lief (während allerdings 1970 für so etwas noch ein Diaprojektor hatte durchbrennen müssen, sorgt heute ein schicker Beamer für gestochen scharfe Bilder. Die Zeiten ändern sich). Bildergalerie und Bühnenvisualisierung basierten auf Werken von Helmut Wenske.

Und wer das Gefühl des Einsseins mit der 70er Psychedelic-Szene noch einmal live und authentisch für sich inszeniert haben möchte, der sollte sich ein Auftrittsdatum der Gruppe "Fantasyy-Factoryy" notieren. Um nochmal zu erleben, wie es wirklich war damals, lohnt auch eine Anreise von mittelweit her. Termine hat man per Internet schnell beisammen. Seit den 70ern ist eben manches einfacher geworden.

Trackback URL:
https://juergendick.twoday.net/stories/870967/modTrackback

Wallonisch

der juergendick weblog

Kultur+Gesellschaft

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Aktuelle Beiträge

Schon wegen des exzellenten...
Schon wegen des exzellenten Schreibstils ist es ein...
iGing - 17. Jan, 08:18
DER PROZESS. Eine Karl-May-Geschichte
Ich war auf meinem Weg zurück in die Heimat in einem...
JuergenD - 16. Jan, 20:39
Am Bärensee
Als Kind bin ich nicht gerne an den Bärensee gegangen....
JuergenD - 11. Apr, 20:46
Am Schmelzweiher
Der Abstieg war beschwerlich, weil der Regen den Boden...
JuergenD - 9. Apr, 08:18
Der Maulwurf kommt
Die ersten Tage mit wärmeren Temperaturen machen offensichtlich,...
JuergenD - 12. Mär, 19:41

Status

Online seit 6874 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 17. Jan, 08:18

Credits


Der Sport!
Der urbane Mensch
Gender
Geschichten
Internetsucht
Kindheit und ihre Folgen
Kultur
Mobilfunkdebatte
Modernes Sein
Musik, Musik!
Naturschutz und Eigensinn
Nervende Jugend
Online sein
Politik und Stolz und Vorurteil
Unterwegs im Netz
Z-Blog (Das Abstellgleis)
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren